AGI – Das säkulare Heilsversprechen

AGI – Das säkulare Heilsversprechen
AGI als Mythos: Ein goldener Felsblock mit der Aufschrift ‚AGI‘ schwebt in einer Seifenblase über der Skyline. Illustration generiert mit Adobe Firefly. © Marjan Milosavljević, 23. August 2025.

Das Versprechen

AGI – die „künstliche allgemeine Intelligenz“ – ist zum Fixstern des Tech-Diskurses geworden. CEOs, Investoren und Medien inszenieren sie als nahes Ziel, als technologische Erlösung. Doch je näher man hinsieht, desto deutlicher wird: AGI ist kein Projekt mit greifbarem Fahrplan, sondern ein Mythos. Eine performative Erzählung, die Kapital anzieht, Märkte beruhigt und Grenzen der Technologie verschleiert.

Die Illusion

AGI wirkt wie ein säkulares Heilsversprechen. Es projiziert Hoffnungen auf Effizienz, Problemlösung und Superintelligenz. Das AI Now Institute beschreibt AGI als „Lodestar“ – einen Leitstern, der Investitionen legitimiert, selbst wenn die technologische Substanz fehlt.¹ In dieser Funktion gleicht AGI einem religiösen Symbol: Sein Wert liegt nicht in der Realisierung, sondern im Glauben an seine Möglichkeit.

Die Funktion

Die Dotcom-Ära versprach eine „digitale Zukunft“ – viele Firmen hatten kaum Produkte, aber gewaltige Bewertungen. Ähnlich verhält es sich heute: AGI dient als rhetorische Projektionsfläche. Milton Mueller spricht von der „Illusion of AGI“, die Debatten verzerrt und politische Fragen überdeckt.² CEOs nutzen das Versprechen des „nächsten großen Durchbruchs“, um Investoren in der Spur zu halten. Ed Zitron vergleicht die KI-Industrie daher mit der Dotcom-Blase: ein Markt überhitzter Bewertungen, gestützt von nebulösen Zukunftsaussichten.³

Die Ironie

Die Ironie dieses Narrativs liegt darin, dass AGI immer verschoben wird. Ein Ziel, das permanent in Aussicht gestellt, aber nie eingelöst wird. Sam Altman selbst vergleicht den AI-Hype mit den Exzessen der Dotcom-Ära – während er das AGI-Versprechen zugleich am Leben hält.⁴ Die jüngsten Enttäuschungen rund um GPT-5 zeigen, dass diese Vision technologisch fern bleibt, während Milliarden bereits verbrannt sind.⁵

Das Ende

AGI ist weniger ein technisches Ziel als ein ökonomisch wirksames Narrativ. Es stabilisiert Märkte, zieht Kapital an und kaschiert die Grenzen gegenwärtiger Technologie. Doch je länger es aufrechterhalten wird, desto größer wird die Diskrepanz zwischen Erzählung und Realität. Die entscheidende Frage lautet nicht, wann AGI kommt – sondern wie lange eine Ökonomie aufrechterhalten werden kann, die vom Mythos lebt, nicht von Ergebnissen.


Summary in English

AGI is less a technical project than a performative myth.
It attracts capital, reassures markets, and disguises the limits of today’s AI.
The question is not when AGI will arrive, but how long an economy can survive on myth rather than results.


Quellen / Weiterführende Literatur

  1. AI Now Institute (2024): The AGI Mythology – The Argument to End All Arguments – AGI als narrative Projektion, die technologische Substanz überdeckt.  
  2. Milton Mueller (2023): The Myth of AGI – How the illusion of Artificial General Intelligence distorts and distracts digital governance – Mythos AGI verzerrt Governance- und Debattenlogiken.  
  3. Ed Zitron (2025): Why the man behind ‘The Hater’s Guide to the AI Bubble’ thinks Wall Street’s hottest trade will go bust (MarketWatch Interview) – Kritische Analyse zur Überbewertung der KI-Industrie.  
  4. The Verge (2025): Sam Altman says ‘yes,’ AI is in a bubble – Altman sieht Parallelen zur Dotcom-Blase.  
  5. Financial Times (2025): US tech stocks hit by concerns over future of AI boom – Marktsignale und Investorenreaktionen auf den abkühlenden AI-Hype.