Digitale Demokratie im Zeitalter des Autoritarismus

Plattformen wie X, Meta oder TikTok geben sich als neutrale Räume. In Wahrheit kontrollieren sie Diskurse, Märkte und Wirklichkeiten – und untergraben so die Demokratie.

Digitale Demokratie im Zeitalter des Autoritarismus
Digitale Demokratie im Zeitalter des Autoritarismus: Plattformen als Machtinstrumente statt neutrale Räume. Illustration. © Marjan Milosavljević, 9. September 2025.

Plattformen wie X, Meta oder TikTok geben sich als neutrale Räume der Kommunikation. Doch in Wahrheit sind sie privatwirtschaftliche Architekturen, die Diskurs nicht ermöglichen, sondern kontrollieren. Mit der Verbreitung von KI und Deepfakes wird Demokratie nicht gestärkt, sondern zerlegt: Die gemeinsame Wirklichkeit, ohne die Demokratie nicht existieren kann, steht auf dem Spiel.

Desinformation 2.0

Noch nie war es so einfach, politische Wirklichkeit zu fälschen. KI generiert Inhalte in Sekunden – Texte, Bilder, Stimmen. Deepfakes verzerren Debatten, automatisierte Bot-Schwärme fluten Netzwerke. Kampagnen wie die der chinesischen Firma GoLaxy, die Profile von tausenden US-Politiker:innen erzeugte, zeigen, dass Desinformation längst systematisch und transnational ist. Was früher mühsame Propaganda war, ist heute ein Service auf Abruf.

Algorithmische Moderation als Anti-Demokratie

Plattformen selbst sind keine Demokratien. Sie entscheiden, welche Inhalte sichtbar werden, welche verschwinden und welche viral gehen. „Community Standards“ klingen nach Gemeinwohl – sind aber private Ordnungsinstrumente. Wer den Diskurs kuratiert, besitzt ihn. Demokratie wird damit nicht gefördert, sondern ersetzt durch das Geschäftsmodell der Aufmerksamkeit.

Techno-Autoritarismus vs. Demokratie

Die Gefahr ist nicht nur Desinformation, sondern auch Kontrolle. Autoritäre Regime nutzen KI zur Überwachung, zum Filtern und zur Disziplinierung ihrer Bevölkerung. Gleichzeitig versucht die EU, mit dem Digital Services Act und Konzepten wie „Tech Citizenship“ digitale Grundrechte zu etablieren. Doch solange Plattformen in Privatbesitz bleiben, kollidieren demokratische Ansprüche mit ökonomischer Logik.

Abwehr durch Technologie

Auch Gegenstrategien entstehen: Schwarm-Erkennungssysteme, Transparenz-Zertifikate, dezentrale Identitäten, die Manipulation erschweren sollen. Doch die Gefahr bleibt: Jede technische Lösung kann selbst zur Waffe werden. Der Wettlauf zwischen Manipulation und Abwehr ist kein Beitrag zur Demokratie, sondern ihre permanente Erosion.

Die Metaphysik der Plattform

Plattformen sind keine Foren, sondern Staaten ohne Bürger:innen. Sie entwerfen eine simulierte Demokratie, in der jede Stimme gezählt, aber keine gehört wird. KI verschärft dieses Paradox: Demokratie wird zur Simulation ihrer selbst. Wer glaubt, Demokratie sei im Digitalen selbstverständlich, verwechselt Partizipation mit Klicks und Repräsentation mit Algorithmen.

Solange Plattformen die Regeln bestimmen, bleibt Demokratie digital ein Trugbild. Die eigentliche Aufgabe ist es, sie neu zu denken – jenseits der Macht der Plattformen.

Marjan Milosavljević, 9. September 2025

English Abstract

Digital democracy is an illusion as long as platforms dictate the rules. They simulate participation while eroding representation. The real task is to rethink democracy beyond the power of platforms.


Quellen 

  • Shoshana Zuboff (2023): Surveillance Capitalism revisited – zeigt, wie Plattformen ihre Geschäftsmodelle über Aufmerksamkeit und Kontrolle ausbauen.
  • EU Digital Services Act (2024) – zentrale politische Antwort auf Plattformmacht, mit Bezug auf Moderation & Grundrechte.
  • Report „Deepfakes and Democracy“ (Carnegie Endowment, 2024) – wie synthetische Medien Desinformation systematisch verstärken.
  • Freedom House Report 2024: Freedom on the Net – zeigt die globale Tendenz zu digitalem Autoritarismus.
  • MIT Technology Review (2025): AI, Elections and Disinformation – aktuelle Analyse zu Wahlen und KI-generierten Inhalten.