Der Algorithmus wählt mit: Wie Musk Europa nach rechts schiebt
Was passiert, wenn ein Milliardär eine globale Kommunikationsplattform besitzt und sie als politische Waffe benutzt? Von Berlusconi zu Musk: Eine Analyse algorithmischer Medienmacht.
Eskalation
Im Dezember 2024 schrieb der reichste Mann der Welt sechs Worte: „Only the AfD can save Germany." Alice Weidel glaubte an einen Fake. Dann fiel sie fast vom Stuhl.
Was folgte, war eine politische Eskalation in Echtzeit. Elon Musk, Eigentümer von X, hostete ein Live-Gespräch mit Weidel vor 200.000 Zuschauer:innen. Kurz darauf sprach er per Video auf einer AfD-Kundgebung in Halle und bezeichnete die Partei als „beste Hoffnung für Deutschland". Wochen später verdoppelte die AfD ihren Stimmenanteil auf 20,8 Prozent.
Korrelation ist keine Kausalität. Doch Europas Frage ist eine andere: Was passiert, wenn ein Milliardär eine globale Kommunikationsplattform besitzt und sie als politische Waffe benutzt?
Blaupause
Ein Vorgänger existiert: Italien, 1994. Silvio Berlusconi wurde Ministerpräsident, nachdem er jahrelang die Fernsehrezeption eines Landes kontrolliert hatte. Mediaset und der Einfluss auf die RAI gaben ihm Deutungsmacht über rund 90 Prozent der TV-Reichweite. Unterhaltung verdrängte Analyse, Information wurde zur politischen PR.
Was Berlusconi für das Fernsehen war, ist Musk für soziale Medien. Schneller, globaler, technisch tiefer verankert. Berlusconi brauchte ein Land und Jahrzehnte. Musk braucht nur einen Algorithmus und Minuten.
Experiment
Am 9. Januar 2025 erklärte Musk in einem X-Livestream: „Ich empfehle wirklich stark, dass die Leute AfD wählen." Weidel behauptete darin, Adolf Hitler sei ein „Kommunist" gewesen. Eine historisch absurde und revisionistische Aussage, der Musk zustimmte.
Zwei Wochen später sprach er erneut auf einer AfD-Veranstaltung. „Diese Wahl könnte das Schicksal Europas entscheiden", sagte er und forderte Deutschland auf, seine historische Schuld „hinter sich zu lassen".
Zehntausende demonstrierten zeitgleich gegen die AfD. Die Gegenöffentlichkeit existierte. Aber sie hatte keinen Algorithmus.
Maschine
Musks Einfluss erschöpft sich nicht in Statements. Untersuchungen zeigen, dass X unter seiner Führung systematisch rechte Inhalte bevorzugt. Eine Studie der Queensland University of Technology fand nach Musks Trump-Endorsement 2024 eine signifikante Verschiebung: rechte Accounts und Musks eigene Posts wurden algorithmisch stärker ausgespielt als linke, selbst bei identischer Interaktion.
Ein Experiment von Sky News 2025 bestätigte das Muster: Neun Test-Accounts, links, rechts, neutral, sahen allesamt etwa doppelt so viele rechte Inhalte wie linke. Unabhängig vom eigenen Verhalten.
Frankreichs Staatsanwaltschaft ermittelt wegen „verzerrter Algorithmen", die EU-Kommission fordert interne Dokumente nach dem Digital Services Act an. Von X gibt es keine Stellungnahme. Musks Presseabteilung existiert nicht mehr; Medienanfragen werden mit einem Poop-Emoji beantwortet.
Wahl
Am 23. Februar 2025 erreichte die AfD 20,8 Prozent. Mehr als doppelt so viel wie 2021. Die Wahlbeteiligung lag bei 82,5 Prozent, der höchsten seit der Wiedervereinigung. In Thüringen kam die AfD auf 38,5 Prozent, im Osten dominierte sie fast alle Direktmandate.
Hat Musk die Wahl entschieden? Beweisen lässt sich das nicht. Wirtschaftskrise, Migration, Unzufriedenheit: All das spielte eine Rolle.
Aber Musk gab der Partei etwas, das sie vorher nicht hatte: globale Legitimität und algorithmisch erzeugte Sichtbarkeit.
Unterschied
Berlusconi kontrollierte Fernsehsender. Musk kontrolliert eine digitale Infrastruktur mit über 500 Millionen Nutzer:innen. Ein System, in dem Reichweite nicht gekauft, sondern programmiert wird.
Während Berlusconi politische Verbündete brauchte, um Gesetze zu ändern, schreibt Musk den Code selbst. Und er agiert transnational: Unterstützung für die AfD in Deutschland, für Reform UK im Vereinigten Königreich, Angriffe auf Frankreichs Regierung, enge Kontakte zu Giorgia Meloni in Italien.
Er ist kein nationaler Player. Er ist eine geopolitische Kraft mit Echtzeit-Verstärkung.
Europa reagiert
Der Digital Services Act verpflichtet Plattformen zu Transparenz. Die EU ermittelt. Frankreich ermittelt. Deutschland debattiert. Doch Regulierung bewegt sich in Jahren, während Algorithmen sich in Sekunden ändern.
Millionen Nutzer:innen sind zu Bluesky abgewandert, das von 9 auf über 20 Millionen Accounts wuchs. Doch X bleibt der sichtbarste politische Marktplatz. Und Musk bestimmt die Regeln.
Was bleibt
Berlusconi starb 2023, seine politische Architektur lebt weiter. Musk ist 53. Er steht am Anfang.
Die Frage ist nicht mehr, ob ein Milliardär demokratische Prozesse beeinflussen kann. Das wissen wir seit Italien. Die Frage ist, was passiert, wenn dieser Einfluss global, algorithmisch verstärkt und ohne nationale Begrenzung stattfindet.
In „Dark Tech" habe ich beschrieben, wie Plattformen Macht unsichtbar machen. Musk tut das Gegenteil: Er demonstriert seine Macht. Und zeigt, dass sie im aktuellen Regime kaum begrenzbar ist.
Das ist keine Verschwörung.
Es ist ein Geschäftsmodell.
Marjan Milosavljević, 12.12.2025
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